NW 3.Februar 2001
„AUF DIE POESIE KOMMT ES AN”
INTERVIEW: Der Pianist Friedrich Wilhelm Schnurr
Gütersloh. Bei Milly Hoffschildt an der Berliner Straße erhielt er in den 30er Jahren seinen ersten Klavierunterricht. Er machte sein Abitur am Ev. Stiftischen Gymnasium. Heute blickt Friedrich Wilhelm Schnurr (71), emeritierter Professor der Hochschule für Musik Detmold und von 1982 bis 1993 deren Rektor, auf eine internationale Pianisten-Karriere zurück. Er gab Konzerte unter anderem in den USA, in Südafrika und mehrfach auch in Japan. 1962 zog er mit seiner Familie nach Detmold, aber die Verbindungen nach Gütersloh sind bis heute nicht abgerissen. Morgen, Sonntag, 18 Uhr, gibt Professor Friedrich Wilhelm Schnurr einen Klavierabend im Theater der Stadt. Auf dem Programm stehen Werke von Beethoven (Sonate c-moll op. 10 Nr. l), Schubert (Sonate B-Dur DV 960) und Chopin (unter anderem f-moll Ballade).
Fühlen Sie sich eigentlich noch als Gütersloher?
SCHNURR: Sie wollen ja ehrliche Antworten haben. Nach vierzig Jahren ist man doch mehr zu Hause in der Stadt, in der man lebt und in der man nicht nur zufällig als Bürger unter Bürgern lebt, sondern auch in einer öffentlich sichtbaren Position gewirkt hat. Als Vertreter einer Hochschule habe ich mich natürlich immer auch der Stadt und ihren Bewohnern in besonderer Weise mit verpflichtet gefühlt.
Haben Sie noch persönliche Verbindungen nach Gütersloh?
SCHNURR: Meine Verbindungen waren lange eng, aber sie ließen natürlich auch nach. Mein Vater ist früh gestorben, da wohnte ich noch in Gütersloh, meine Mutter hat aber noch lange dort gelebt, bis 1975, als sie ins Augustinum nach Detmold übersiedelte. Heute lebt noch eine meiner beiden Schwestern in Gütersloh. Meine Frau Sigrid, eine geborene Könne, stammt aus Gütersloh, und wir haben natürlich heute noch einige Freunde von früher, wo die Freundschaften erhalten geblieben sind.
Waren Sie etwas wie ein pianistisches Wunderkind, oder hat sich ihre Begabung allmählich entwickelt?
SCHNURR: Selbst wenn man mit dem Begriff Wunderkind nicht so vorsichtig umgeht, wie ich das für zweckmäßig halten würde, würde ich mich dennoch nicht als solches bezeichnen. Ich habe mit sieben Jahren, also in einem Alter, wo das nun wirklich nichts Besonderes ist, angefangen, Klavier zu spielen. Das war 1937. In den Jahren 1941 bis 1943 habe ich auch Orgelunterricht gehabt, in der alten Apostelkirche. Aber als ich Abitur machte, 1949, habe ich mich klar für das Klavier entschieden. Ich hatte all die Jahre eine sehr gute und sehr treue Klavierlehrerin, deren Name alten Güterslohern noch etwas sagen wird. Das war Milly Hoffschildt, sie wohnte an der Berliner Straße. Daran erinnere ich mich noch sehr gut.
Was zeichnete sie aus?
SCHNURR: Das war eine Lehrerin, die mich von Anfang an auch als kleinen Menschen ernst genommen hat. Das habe ich später, ich glaube auch mit einigem Erfolg, bei meinen Schülern und Studenten versucht, so zu halten.
Unter ihren Studenten waren auffallend viele Japanerinnen, und die Rezeption Ihres Schaffens war in Japan ja auch besonders ausgeprägt. Wiekamdas?
SCHNURR: Wir hatten in Detmold schon in den sechziger Jahren japanische Studenten, und durch deren Empfehlung bekam ich im Laufe der Jahre zunehmend neue Schüler aus Japan. Die haben mich dann auch 1986 auf eine Tournee durch Japan eingeladen, wodurch sich wiederum viele junge Menschen dort dafür interessierten, bei mir zu studieren. Seit 1986 bin ich fast jedes Jahr in Japan gewesen, 1997 sogar vier Mal. Ich hoffe, dass die Beziehungnoch lange bestehen bleibt. Daspianistische Niveau der jungen Ja-
paner, besonders der Frauen, ist ja ungewöhnlich hoch. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sie ungewöhnlich fleißig sind, aber nicht nur. Sie können zum Beispiel Hinweise hervorragend umsetzen. Was da manche 16-, 18-Jährige nicht nur an Technik, sondern auch an Kreativität besitzen, ist einfach unglaublich.
War Ihnen 1949 schon klar, dass Sie das Klavierspiel zum Beruf machen würden?
SCHNURR: Meine Eltern haben natürlich ernsthaft mit mir überlegt, ob ich nicht besser Schulmusik studieren sollte, wegen der größeren wirtschaftlichen Sicherheit. ..
... zumal in der Nachkriegszeit...
SCHNURR:... natürlich, sie sahen, wie riskant ein freier künstlerischer Weg sein würde. Mein Vater ist auch einmal bei meinem damaligen Hauptfach-Lehrer gewesen, Professor Hans Richter-Haaser, der später ein international berühmter Pianist wurde, und fragte ihn, wie er das sehe. Mir ist berichtet worden, dass Richter-Haaser meinem Vater Mut gemacht hat. Er brauchte sich keine Sorgen zu machen, der Sohn werde das schon machen. Dann kamen einige Jahre, die etwas mühsamer waren, wo wir - ich habe früh geheiratet und wir waren bald eine fünfköpfige Familie - von meinem kleinen Schülerkreis und Konzerten leben mussten. Dabei wurde ich übrigens sehr unterstützt von einigen Persönlichkeiten in Gütersloh. Ich habe in dieser Hinsicht, was meinen Werdegang angeht, auch sehr viel dem Vater meines Klassenkameraden Dr. Peter Zinkann, Kurt Christian Zinkann, zu verdanken, der eine Art „Musikpapst” in Gütersloh war.
Sie zählen große Pianisten-Persönlichkeiten wie Alfred Cortot und WilhelmKempffzu ihren Lehrern. Welcher Pianist hat auf Sie rückblickend den nachhaltigsten Eindruck gemacht?
SCHNURR: Das waren schon die zwei großen Meister, bei denen ich nach meinem Studium war, die persönlich als Lehrer auf mich zugegangen sind, von denen ich persönlich gelernt habe: 1953 Cortot, 1961 Kempff, zu dem auch eine persönliche Verbindung entstand. Daneben und darüber hinaus gibt es natürlich eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die einen beeinflusst, vielleicht auch geprägt haben, dadurch, dass es sie gab und dass man sie wahrnahm und von ihrer Ausstrahlung berührt war. Das sind nicht nur Musiker, aber bei den Musikern würde ich als ersten ganz sicher Wilhelm Furtwängler nennen. Dann, von den Pianisten, Edwin Fischer, Elly Ney, Wilhelm Backhaus und, nicht zu vergessen, Walter Gieseking. Das war ja Zauberei vielfach, was der machte, wenn er Debussy und Ravel spielte. Viel bedeutet haben mir auch noch, das war dann später, Emil Gilels und noch viel später Swjatoslaw Richter, den ich übrigens mit einem Brahms-Abend m Gütersloh gehört habe. Diese Poesie, diese Ausstrahlung, wie sie ein Dirigent wie Furtwägler gehabt hat, das war es, worauf es ankam, was ich mit nach Hause nahm und was vielleicht doch an die großen Vertreter dieser Generation gebunden war. Heute mag es etwas anderes geben.
Sehen Sie heute bei den Jüngeren jemanden, der Sie vergleichbar beeindruckt, dereine ähnliche Bedeutung erlangen könnte?
SCHNURR: Das ist schwer abzuschätzen. Für große Pianisten unter den Jüngeren halte ichAndras Schiff, Christian Zacharias, Murray Perahia, Gerhard Oppitz vielleicht auch. So etwas ist immer gefährlich, aber wenn Andras Schiff in Köln an drei aufeinander folgenden Abenden alle drei Bartök-Konzerte spielt und man weiß, dass der Mann außerdem noch ein riesiges Repertoire hat, und das in dieser Überlegenheit bringt, dann kann man das nur bewundern. Zumal es nicht nur
eine technische Leistung ist, sondern er die Stücke auch erfüllt. Gut Klavier spielen können sehr viele.
Am Sonntag spielen Sie in Gütersloh Beethoven, Schubert, Chopin. Sind das auch dis drei Fixsterne Ihres Komponisten -Firmaments?
SCHNURR: Sicher Beethoven, sicher Schubert. Chopin war es eigentlich lange nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich ein ausgesprochener Chopin-Spieler bin, ich habe auch lange unter dem Komplex gelitten, dass man den deutschen Pianisten eigentlich nicht zutraut, dass sie Chopin spielen können. Aber das könnte ein Vorurteil sein, das von bestimmten Vorstellungen ausgeht, wie man denn Chopin interpretieren müsse. Mozart wäre sicher noch zu nennen, auch Schumann und Brahms. Es ist ja tatsächlich so,
dass man sich immer mal eine Zeit lang für einen bestimmten Komponisten besonders erwärmt. Und wenn ich jetzt im Verdi-Jahr nach langer Zeit mal wieder ins „Requiem” höre, bedaure ich sehr, dass Verdi nichts für Klavier geschrieben hat.
Wie intensiv haben Sie sich mit zeitgenössischer Klaviermusik beschäftigt?
SCHNURR: In meiner Jugend habe ich Bartök, Hindemith, Strawinsky gespielt, dann kam Schönberg hinzu, mit dem ich mich aber nicht so identifizieren konnte, eher mit seinen frühen Stücken. Zwölftontechnik allein ist
noch kein Beleg für Qualität, das hat auch Schönberg nicht gesagt.
Wie halten Sie es mit Bach?
SCHNURR: Ich spiele ihn natürlich zu Hause, er gehörte gewissermaßen immer zur Grundnahrung, aber ich spiele ihn relativ selten im Konzertsaal.
Üben Sie noch täglich ?
SCHNURR: Nicht jeden Tag und wenn, dann im wesentlichen zur Erhaltung des Repertoires und nicht der Spielfähigkeit. Ich habe die Technik immer aus der Musik heraus entwickelt, das ist künstlerisch ergiebiger. Ein Berserker des Übens war ich nie.
Das Gespräch führte
Thomas Klingebiel.