Friedrich-Wilhelm
Schnurr
Neue Westfälische
1929 – 2017
OK
Neue Westfälische 26.01.1998
Klavierabend Friedrich Wilhelm Schnurr
Verklärte Pianistik
Von Wolfgang Drees

Bielefeld-Schildesche. Nach langer Abwesenheit - warum nur? - war Friedrich Wilhelm Schnurr mit einem Klavierabend zu hören und dieser wurde zu einem Erlebnis besonderer Art. Gleichsam als ein Prophet einer vergangenen pianistischen Epoche machte man als Hörer seine Erfahrungen in diesem Rezital, wie mit solider ausgereifter Technik Musikwerke zu gestalten sind fernab aller heutigen auftrumpfenden Manier. Stille und innere Ruhe, entlanggleiten und abhorchen, um die Wesensmerkmale der darzustellenden Musik erfahrbar und umsetzbar wird in Gemeinsamkeit mit der eigenen Persönlichkeit, hier offenbarte sich eine Dimension der Interpretation, die der jungen Generation abhanden gekommen scheint.

Schnurr wählte die „Fantasie” als übergeordnetes Prinzip für sein Programm mit Solitären von Beethoven, Schumann, Chopin und Liszt. Die ruhig fließenden Triolenbewegung im Kopfsatz der cis-Moll-Sonate op.27/2 von Beethoven, die der innigen, in unendlicher Wehmut gefaßten Melodie unterlegt ist, die weichen Bassfiguren dazu als ein verzweifeltes Todesgeläute, rahmte Schnurr mit behutsamer facettenreicher Anschlagsstruktur ein. Anmut in den leichtgesetzten Synkopenketten setzte der Pianist dagegen im Allegretto mehr schon als Einleitung zum grollenden Finale ein, nie überzogen in Dynamik und Tempo. Der finale Themenreigen hatte jeweils eigene Charakteristik, gebündelt zu apokalyptischer Leidenschaft.

„Durch alle Töne tönt” (Schlegel) die Entgrenzung, die Kühnheit konträrer Gedankenblitze in Schumanns C-Dur-Fantasie. Schnurr aber erwählte in seiner Interpretation die Meditation um vergangene Lebensäußerungen, betrachtet das Werk aus dem Abstand der Zeiten, läßt die Stimmungen und Aufschreie vorüberziehen, zwar sehr bekenntnishaft doch poetisch, fängt die seelischen und psychologischen Situationen der Musikinhalte auf, gibt ihnen in verklärter Absicht poesie- und liebevolle Züge. Schnurr blätterte ein vergilbtes Tagebuch auf, alles wurde zu Klang, gedankenverhangen. Hier tönte der Herzschlag.
Chopins f-Moll-Fantasie gewann durch Schnurr mehr Kontur durch die Zuordnung der Themenfülle als in einer aufgesetzten pianistischen Bravour. Das Passagenwerk war klar formuliert eingebettet, die liedhaften Gestaltstrukturen leuchteten um so mehr als glanzvolle Elemente der üppig wuchernden Fantasie. Spontaneität und Kunst des geformten Vortrags fanden zu überzeugender Einheit.
Liszts „Dante-Sonate” zeigt das Inferno aus Dantes bilderwuchernder „Divina commedia”. Schnurr entwickelte das Grundthema in allen Metamorphosen ganz lapidar als Qual der ruhelosen Schatten im Höllenschlund, als geschmeidige, besänftigte Gesangslinie oder als glitzernde Episoden. Unerbittlich und mühelos bringt der Pianist die krachenden Oktavkaskaden in den Schmelztiegel der Höhepunkte ein. Mit äußerster Intensität erreicht er maximale Satz- und Klangdichte der Gedankenwelt.
Zwei Zugaben: Eine Bearbeitung des „Ständchens” von Richard Strauss durch Walter Gieseking und das Des-Dur „Prélude” von Stephen Heller.

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Last modified: June 22 2020