Das Programm dieser CD spannt einen Bogen von dem ersten Klavierwerk von Johannes Brahms, das nicht der strengen Selbstkritik des Komponisten zum Opfer gefallen ist, bis zu seinem letzten Stück für Klavier allein: vom furiosen Scherzo es-Moll bis zu jener großartigen Rhapsodie, die zwar in triumphalem Es-Dur beginnt, doch ebenfalls in schroffem es-Moll schließt. (Zufall?)
Robert und Clara Schumann waren durch Joseph Joachim auf das junge Genie bereits vorbereitet, das sie am l. Oktober 1853 in Düsseldorf besuchte, um sich ihnen vorzustellen. Dennoch Kann man sich leicht ausmalen, in welche Begeisterung die Schumanns geraten mußten, als sie neben der C-Dur-Sonate auch dieses Scherzo in seiner hinreißenden Wildheit und zugleich anrührenden Empfindsamkeit hörten, wobei man davon ausgehen kann, dass Brahms als der glänzende Pianist, der er war, seine oft sehr
schwierigen Werke in jeder Hinsicht kompetent vorzutragen vermochte. Auch wenn in manchen Teilen das Vorbild Chopin (der ja im übrigen von Schumann hoch verehrt wurde) deutlich hervortrat, war dies doch insgesamt ein neuer Ton, eben ganz und gar Brahms.
Schnell erwuchsen zwischen der Familie Schumann und dem jungen Brahms freundschaftliche Gefühle, die noch vertieft wurden, als Robert Schumann nach wenigen Monaten einen Selbstmordversuch beging und in die Heilanstalt Endenich bei Bonn eingewiesen werden mußte. Er besuchte nicht nur häufig den älteren Freund, sondern er gab seiner Verehrung für ihn auch dadurch Ausdruck, dass er Variationen über das erste der „Albumblätter” aus Schumanns „Bunten Blättern” op.99 komponierte. Sie sind in Klang und Atmosphäre ganz vom Geiste Schumanns bestimmt und zugleich mit vielerlei kontrapunktischen Formen durchsetzt, die jedoch nie vordergründig um ihrer selbst willen erscheinen, sondern vielmehr dem roman-
tischen Schwärmen ein ordnendes Element eingeben. Hierin kündigt sich schon der große Klassizist an. Außer dem fis-Moll-Thema wird noch ein weiteres Stück aus den „Albumblättern” zitiert (Variation 9), und auch die Reverenz an Clara Schumann fehlt nicht: Am Ende der 10. Variation erkennen wir ein Thema der dreizehnjährigen Clara, das Robert Schumann zwanzig Jahre zuvor als Grundlage seiner Impromptus op.5 gedient hatte.
F. W. Schnurr (Einführungstext zur CD mit Klavierstücken von J. Brahms 1993)