Friedrich-Wilhelm
Schnurr
Beethoven op. 31
1929 – 2017
OK
Beethovens op.31

Schon vor Beethoven und nach ihm, bis in unser Jahrhundert hinein, war es durchaus nichts Ungewöhnliches, dass ein Komponist bzw. sein Verleger nicht nur einzelne Stücke, sondern auch mehrsätzige Werke wie Sonaten oder Suiten gewissermaßen als „Paket” veröffentlichte und unter einer einzigen Opus-Zahl zusammenfaßte. Dies mochte jeweils praktische Gründe haben, etwa um ein Abonnement zu füllen oder der besonderen Ehrung eines hohen Widmungsträgers zu dienen, aber es war damit in aller Regel nicht die Vorstellung verbunden, dass diese Werke jeweils im Zusammenhang als Zyklus aufgeführt werden sollten. So finden sich auch bei Beethoven, besonders in seinem Frühwerk, viele solcher Werkgruppen: Drei Klaviertrios op. 1, je drei Klaviersonaten op. 2 und op. 10, je drei Violinsonaten op. 12 und op. 30, drei Streichtrios op. 9, sechs Streichquartette op. 18, um nur diese Beispiele zu nennen. Für den Konzertvortrag wählt man normalerweise jeweils nur ein Werk aus und ergänzt das Programm aus anderen Bereichen. Doch ist es in einigen Fällen auch reizvoll, eine solche Gruppe komplett aufzuführen. Dies gilt für die beiden Klaviersonaten „quasi una fantasia” op. 27, die sowohl formal als auch inhaltlich aus dem üblichen Rahmen fallen, und vielleicht noch mehr für die drei Sonaten op. 31, die man als einen großen Zyklus auffassen kann. Sie alle entstanden um die Jahre 1801/02, also in einer Zeit, in der Beethoven nach seinen eigenen Worten „einen anderen Weg beschreiten” wollte.
Mein Lehrer Hans Richter-Haaser, der garade die Sonaten op. 31 gern unmittelbar nacheinander in einem Programm spielte, fand sich eines Tages nach einem solchen Konzert durch einen Zuhörer bestätigt, der ihm erzählte, sein Großvater sei Schüler von Franz Liszt gewesen und dem habe Liszt gesagt, man solle diese Sonaten niemals voneinander trennen, da sie als „Triptychon” konzipiert und nur so verständlich seien. Ob diese Triptychon-ldee Liszts eigene Erfindung war oder möglicherweise sogar auf Beethoven selbst zurückgeführt werden könnte, blieb ungewiß, aber wer weiß? Liszt war schließlich Schüler von Carl Czerny, und dieser war Schüler von Beethoven.

Wie dem auch sei: Allein ein Blick in die Noten genügt, um zu erkennen, dass sich über die zehn Sätze der drei Sonaten ein riesiger Bogen spannt, unter dem sich kein Formtypus, kein musikalischer Charakter wiederholt, an dessen Beginn ein quasi präludierender Eröffnungssatz und an dessen Ende ein feurigvirtuoses Presto stehen und dessen Mitte ein großes, von tiefer Empfindung getragenes Adagio bildet. Betrachtet man die drei Sonaten in ihrem Verhältnis zueinander, also als bdquo;Triptychon”, so erscheint die erste Sonate als relativ leichtgewichtiges (und daher vielfach unterschätztes) Werk von ungetrübter Heiterkeit mit einer zauberhaften Serenade (ungewöhnlich die Bezeichnung „Adagio graziöse”!) und einem rokokohaft verspielten Rondo, in dem sich schließlich der unbändige Beethovensche Humor bahnbricht, das aber noch nichts von den dämonischen Abgründen verrät, die mit der zweiten Sonate unvermittelt aufbrechen.
Hier sind die Kontraste schon im ersten Thema (largo - Allegro) wahrhaft beklemmend, das Rezitativ in der Reprise erscheint wie eine einsame menschliche Stimme im Sturm schicksalhafter Gewalt (doch sollte man den Beinamen „Sturm-Sonate” behutsam interpretieren - Beethoven hat nicht von einem Unwetter gesprochen, sondern auf ein Theaterstück hingewiesen: „Lesen Sie Shakespeares' Sturm'”!), und auch im Finale ist das Tempo (allegretto im 3/8-Takt) zwar gemäßigt, was aber die Verbindung von dynamisch erfüllter Poesie und unaufhaltsam fortreißender Bewegung nur noch unheimlicher wirken läßt.
Danach in der Es-Dur-Sonate, dem dritten Bild des „Triptychons”, die Rückkehr zur Heiterkeit der ersten Sonate, nun aber noch reicher an subtilen Nuancen und hintergründigen Schattierungen. Im ersten Satz glaubt man zuweilen Mozart zu hören und dann wieder Klänge, die von Brahms sein könnten. Dem Scherzo im 2/4-Takt und mit der Bezeichnung „allegretto vivace” (fast paradox wie das „Adagio graziöse” in der ersten Sonate), einem Meisterstück an Charme und geistvollem Witz, folgt kein langsamer Satz mehr, sondern stattdessen ein ruhiges Menuett („moderato e graziöse”), bevor das furiose Finale den ganzen Zyklus glanzvoll beschließt.

F. W. Schnurr (Einführungstext zur CD mit den Klaviersonaten op.31 von L. v. Beethoven 1995)

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Last modified: June 22 2020