Schon vor Beethoven und nach ihm, bis in unser Jahrhundert hinein, war es durchaus nichts Ungewöhnliches, dass ein Komponist bzw. sein Verleger nicht nur einzelne Stücke, sondern auch mehrsätzige Werke wie Sonaten oder Suiten gewissermaßen als „Paket” veröffentlichte und unter einer einzigen Opus-Zahl zusammenfaßte. Dies mochte jeweils praktische Gründe haben, etwa um ein Abonnement zu füllen oder der besonderen Ehrung eines hohen Widmungsträgers zu dienen, aber es war damit in aller Regel nicht die Vorstellung verbunden, dass diese Werke jeweils im Zusammenhang als Zyklus aufgeführt werden sollten. So finden sich auch bei Beethoven, besonders in seinem Frühwerk, viele solcher Werkgruppen: Drei Klaviertrios op. 1, je drei Klaviersonaten op. 2 und op. 10, je drei Violinsonaten op. 12 und op. 30, drei Streichtrios op. 9, sechs Streichquartette op. 18, um nur diese Beispiele zu nennen. Für den Konzertvortrag wählt man normalerweise jeweils nur ein Werk aus und ergänzt das Programm aus anderen Bereichen. Doch ist es in einigen Fällen auch reizvoll, eine solche Gruppe komplett aufzuführen. Dies gilt für die beiden Klaviersonaten „quasi una fantasia” op. 27, die sowohl formal als auch inhaltlich aus dem üblichen Rahmen fallen, und vielleicht noch mehr für die drei Sonaten op. 31, die man als einen großen Zyklus auffassen kann. Sie alle entstanden um die Jahre 1801/02, also in einer Zeit, in der Beethoven nach seinen eigenen Worten „einen anderen Weg beschreiten” wollte.
Mein Lehrer Hans Richter-Haaser, der garade die Sonaten op. 31 gern unmittelbar nacheinander in einem Programm spielte, fand sich eines Tages nach einem solchen Konzert durch einen Zuhörer bestätigt, der ihm erzählte, sein Großvater sei Schüler von Franz Liszt gewesen und dem habe Liszt gesagt, man solle diese Sonaten niemals voneinander trennen, da sie als „Triptychon” konzipiert und nur so verständlich seien. Ob diese Triptychon-ldee Liszts eigene Erfindung war oder möglicherweise sogar auf Beethoven selbst zurückgeführt werden könnte, blieb ungewiß, aber wer weiß? Liszt war schließlich Schüler von Carl Czerny, und dieser war Schüler von Beethoven.
F. W. Schnurr (Einführungstext zur CD mit den Klaviersonaten op.31 von L. v. Beethoven 1995)