Zeit seines Lebens hat Beethoven immer wieder um neue musikalische Ausdrucksmittel und Formen gerungen. Das Klavier, das er virtuos beherrschte, war dabei in der Regel das Instrument, für das er die jeweils ersten Meisterwerke einer Schaffensphase komponierte, und die Form der Sonate das Experimentierfeld, auf dem sein schöpferisches Genie neue Lösungen fand, die er dann auf andere Gattungen wie das Streichquartett oder das Sinfonieorchester übertrug.
Aus dieser Sicht erscheint als absoluter Gipfel seines Sonatenwerks die grandiose, alle Konvention sprengende „Große Sonate für das Hammerklavier” op. 106 aus dem Jahre 1818. Darüberhinaus schien nichts mehr möglich. Dennoch komponierte Beethoven in den folgenden Jahren kurz nacheinander noch drei Klaviersonaten, mit denen er die Hammerklaviersonate weder zu überbieten versuchte noch hinter sie zurückfiel, mit denen er sich vielmehr von ihr entfernte, um noch einmal Neues, bis dahin Unerahntes zu erfinden.
Diese Sonaten op. 109, 110 und 111, veröffentlicht in den Jahren 1821 bis 1823, lassen zwar in ihren Kopfsätzen noch gewisse Vorgaben der Sonatenform erkennen, gehen im weiteren Verlauf aber ganz andere Wege, wobei Fugen (op. 110) und Variationen (op. 109 und 111) als bestimmende Formen hervortreten. So verschieden die drei Sonaten im übrigen sind, eines haben sie alle gemeinsam: Die Schlichtheit der thematischen Erfindung und die Konzentration der Form ebenso wie die Vielfalt der musikalischen Ausdrucksmittel auf engstem Raum.
So erscheint am Beginn der E-Dur-Sonate nach einem Takt-und Tempowechsel bereits in Takt 9 das zweite Thema, das in eigenartiger Verbindung von strenger Form und freier Improvisation schon im Takt 16 die Durchführung erreicht. Nach Reprise und Coda zieht unmittelbar anschließend das ebenso knapp gehaltene Prestissimo des zweiten Satzes rasch vorüber, bevor sich der farbige Bilderbogen von fünf Variationen über ein liedhaftes Thema entfaltet, dessen Wiederholung die ganze Sonate mit tiefer Verinnerlichung beschließt.
Auch die As-Dur-Sonate weckt zunächst liebliche Empfindungen-„con amabilitä (sanft)” überschreibt Beethoven das Anfangsthema, dem sogleich eine wundervoll schwingende Melodie und spielerische Figuren folgen, die dem Satz seinen besonderen Wohllaut verleihen.
F. W. Schnurr (Einführungstext zur CD mit den letzten Klaviersonaten von L. v. Beethoven 1995)